Offener Brief der Kunsthochschulen BW

Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe
Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
12. Dezember 2024
Sehr geehrte Landtagsabgeordnete, sehr geehrte Damen und Herren,
im Zusammenhang der Diskussion um die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums (G9) ist uns als Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, als Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe und als Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe ein schwerwiegender Mangel der künftigen Stundenplanung aufgefallen. Auf diesen wollen wir Sie hiermit noch einmal hinweisen und dringend darum bitten, diesen Punkt in der Diskussion wie in der Abstimmung über die Umsetzung des neuen G9 ernsthaft zu berücksichtigen.
Die Herausforderung, eine Stundentafel für das neue G9 zu entwerfen, die sowohl dem Bedürfnis nach einer globalen Stundenentlastung der Schuler*innen nachkommt, als auch für eine sinnvolle Verteilung des verfügbaren Stundenkontingents auf alle alten und neuen Fächer (wie beispielsweise Informatik und Medienbildung) sicherstellt, ist enorm. Es ist uns klar, dass es in solch einer Situation zu Kompromissen kommen muss. Die sogenannten Poolstunden bieten dabei auch die Möglichkeit, schulspezifische Profile durch eigene Schwerpunktsetzungen auszubilden. Dass die jetzigen Planungen eine verpflichtende Poolstunde für „kulturelle Bildung“ vorsehen, befürworten wir insofern sehr, als gerade die zu diesem Bereich zählenden Fächer Kunst, Musik und Sport tendenziell unterrepräsentiert sind und nicht selten überhaupt als „vernachlässigenswert“ betrachtet werden. Weshalb nun aber ausgerechnet Bildende Kunst aus diesem Verbund gestrichen wurde, die Poolstunde für „kulturelle Bildung“ nun nur noch verpflichtend für Musik oder Sport aufgebracht werden kann, ist uns völlig unverständlich. Tatsächlich müssen wir es als einen gegen die Bildende Kunst im Ganzen gerichteten Affront auffassen. In einer Zeit, in der Bildkompetenz, Persönlichkeitsentwicklung und Kreativität wichtiger sind denn je, in der der Hang, schnell und möglichst effizient auszubilden die Notwendigkeit zu individueller, sinnesbasierter Bildung immer stärker überdeckt, muss gerade das Fach Bildende Kunst gestärkt und nicht geschwächt werden.
Die Folgen der Abwertung des Faches Bildende Kunst sind gerade auch für uns als Kunstakademien und Kunsthochschule bereits jetzt deutlich spürbar. Aufgrund des Lehrermangels der letzten Jahre lässt sich bereits ein Rückgang der Qualität bei den Bewerbungen auf die zur Verfügung stehenden Studienplätze an den Akademien und Hochschulen feststellen. Einige der Studierenden gehen nach ihrer Studienzeit als Lehrer wieder an die verschiedenen Schulen, wo sie nun selbst unter schwierigen Bedingungen die nächste Generation an die künstlerische Praxis heranführen sollen. Der Kreis birgt die Gefahr einer Abwärtsspirale, die wir an den Akademien und Hochschulen alleine nicht abfangen können.
Das Fach Kunst hat eine elementar wichtige und umfangreiche Bildungsfunktion, von der alle anderen Fächer nur profitieren können. In der gemeinsamen Kunsterfahrung und Bildbetrachtung wird Wahrnehmung und deren reflektierende Analyse geschult. Dies ist besonders in einer Zeit, in denen Meinungsbildung massiv durch digitale Bildkulturen in den Sozialen Medien geprägt ist, eine zentrale Aufgabe. Zudem werden kreatives und eigenständiges Denken durch das Fach Kunst gefördert und Handeln als unendlicher Möglichkeitsraum begreifbar gemacht. So ermöglicht die künstlerisch-praktische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Materialien und Medien die Bearbeitung drängender Fragestellungen und fördert Teilhabe und Selbstwirksamkeitserfahrungen sowie das Sichtbarwerden und Anerkennen unterschiedlicher Standpunkte durch Präsentations- und Ausstellungsformate.
Kunst ist ein identitätsprägender und die Gesellschaft verbindender Aspekt, der wesentlich das menschliche Miteinander, das gegenseitige Verständnis und den kommunikativen Austausch auf respektvolle Weise fördert, eine Energie und Kraft, die gerade in unserer heutigen Zeit unverzichtbar ist. Kunst reflektiert zum einen unsere Wirklichkeit und erzeugt zum anderen ihre eigenen Realitäten, sie ist universell und partikular zugleich, ohne Kunst ist das menschliche Dasein nicht denkbar.
Nur durch ausreichend Zeit für eigene kreative Schaffensprozesse kann die Wertschätzung und Weltoffenheit bei Kindern und Jugendlichen gefördert werden; eine wichtige Grundvoraussetzung damit auch diese Generation später bereit ist, für die Förderung von Kunst und Kultur Steuergelder aufzuwenden, die zunehmend hart umkämpft sein werden.
Sollten die geplanten Stundenkürzungen im Fach Bildende Kunst umgesetzt werden, hätte dies dramatische Folgen für den Innovationsstandort Baden-Württemberg und insbesondere auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Verständigung auf ein gemeinsames kulturelles verbindendes Fundament.
Es ist wichtig und gerade in diesen Zeiten von höchstem gesellschaftlichem Interesse, Bildung ganzheitlich zu denken und nicht lediglich als karrierewirksame Spezialisierung. Insbesondere die Schule sollte ein Ort sein, an dem diese ganzheitliche Herangehensweise gelebt und ernstgenommen wird. Das Mindeste, was wir als Kunstakademien und Hochschulen in diesem Kontext einzufordern haben, ist die Gleichstellung des Faches Bildende Kunst mit den beiden anderen wichtigen Fächern der „kulturellen Bildung“ Musik und Sport.
Wir bitten Sie also dringend, diesen Punkt in der Planung für das neue G9 zu korrigieren und die verpflichtende Poolstunde für alle drei Fächer vorzusehen und stehen für ein persönliches Gespräch jederzeit gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Prof. h.c. mult. Eva-Maria Seng
Rektorin der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Prof. Constanze Fischbeck
Stellvertretende Rektorin Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
Prof. Marcel van Eeden
Rektor der Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe
Sprecher der Kunsthochschulen in Baden-Württemberg